Der mit dem Wecker tanzt, oder:
Wer zu früh tanzt, schläft zu kurz!
Dieser Gastbeitrag von Michael Wieden zur Chronobiologie beschäftigt sich mit der Frage, wie die innere Uhr von Menschen optimal in Unternehmen und Organisationen integriert werden kann. Michael Wieden ist Betriebswirt und beschäftigt sich seit 2002 mit mobilen Arbeitsformen und der Chronobiologie im Personalmanagement. Er ist Autor mehrerer Bücher und hat weltweit einmalige Pilotprojekte wie „ChronoCity – Pilotstadt Chronobiologie“, „Aufstehen ohne Wecker“ (Fa. Späh) und COPEP – Chronotypenoptimierte Personaleinsatzplanung (Klinik Wartenberg) initiiert.
Mit den Ergebnissen dieser wissenschaftlich begleiteten Projekte konnte er die Umsetzungsfähigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Chronobiologie in die kommunale und unternehmerische Praxis eindrucksvoll belegen. In seinen Projekten wurde auch erstmals der an der Charité Berlin entwickelte RNA-Test zur Chronotypenbestimmung eingesetzt. Michael Wieden gilt auf dem Gebiet der Chronobiologie mit seiner Erfahrung als Pionier und arbeitet eng mit der Wissenschaft und Krankenkassen zusammen.
In diesem Artikel beschreibt Michael Wieden, welchen Beitrag die Chronobiologie zur Effektivitätsteigerung leisten kann, wenn die richtigen Randbedingungen gesetzt werden. Ein interessanter Einblick in ein Thema, das heute noch zu wenig Berücksichtigung erfährt:
Chronobiologie im Personalmanagement: Experte Michael Wieden im Gespräch mit Dr. Holger Schmitz
„Der frühe Vogel fängt den Wurm …
aber auch nur den frühen Wurm!“
Etwa 60 Mrd. Dollar verpulvert die deutsche Volkswirtschaft laut einer Studie des Think Tanks „Rand Europe Corporation“1 aus dem Jahr 2016 mittlerweile jährlich durch Schlafdefizit! Das sind pro Jahr ca. 1.300 Euro pro Arbeitnehmer, weil die Chronobiologie keine Rolle spielt! Bei den vorgenannten Zahlen sind etwaige Corona-Effekte noch nicht mit einbezogen.
Stellt man nun gegenüber, dass über 70% der Deutschen wochentags mit dem Wecker aufwachen2 müssen(!), kann man durchaus den Wecker als ein Symbol für diese Verschwendung bezeichnen. Denn wer mit dem Wecker aufwacht, der schläft schlicht nicht zu Ende.
Und dabei sollte auch noch Beachtung finden, dass sich innerhalb der letzten 40 Jahre die durchschnittliche Schlafdauer der deutschen um zwei Stunden reduziert hat! Tendenz weiter abwärts entwickelnd …!
Schlaf-/Wachrythmus im gesellschaftlichen Leben
Was Dein Wecker Dir nimmt!
Die Chronobiologie beschäftigt sich exakt mit diesen Auswirkungen: Der Diskrepanz des genetisch bedingten natürlichen Schlaf-/Wachrhythmus der Menschen und der künstlichen Taktung der Gesellschaft. Denn einen Wecker bedarf es ausschließlich, wenn jemand sagt: “Du darfst nicht zu Ende schlafen!“ In der Regel ist dies die Vorgabe eines Gesellschaftsbereiches wie Arbeitgeber, Bildungseinrichtungen (z.B. Schule), Kliniken etc..
Kurzdefintion der Chronobiologie
Chronobiologie ist die Wissenschaft über die zeitliche (ich sage … rhythmische) Organisation von Lebewesen, in diesem Fall der Menschen. Der Tag-/ Nachtrhythmus auf unserem Planeten ist dabei der Kernimpuls, der sich über die Jahrmillionen in unsere Gene eingebrannt hat.
Entsprechend der Überlebensanforderungen an den Menschen haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Ausprägungen entwickelt. Diese werden in sogenannte Chronotypen unterteilt, von denen die meisten Menschen die Extremausprägungen Lerchen (Frühtypen) und Eulen (Spättypen) zumindest vom Grundsatz her kennen. Die Wissenschaft der Chronobiologie unterscheidet insgesamt zwischen sieben Typen vom extremen Frühtypen über den Normaltypen bis hin zum extremen Spättypen.
Ein kurzes Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die sehr große große Spannbreite der Ausprägungen von Chronotypen in unserer Gesellschaft:
Allein bei 128 Mitarbeitern in einem unserer Praxis-Projekte lag die Differenz der (über einen wissenschaftlichen RNA-Test) ermittelten biologischen Einschlafzeit der frühesten Lerche und der spätesten Eule bei 13,5h. Die bisher gemessene Bandbreite in der Bevölkerung ist sogar noch größer!
Natur & Notprogramme
Achte auf Deine innere Uhr!
In der Chronobiologie basieren alle körperlichen Abläufe auf entsprechenden inneren Uhren, oder besser „Impulsgebern“ und folgen einer zentralen „Masterclock“, dem Nucleus Suprachiasmaticus. Dessen genetische Struktur ist von Mensch zu Mensch verschieden, genauso wie wir unterschiedliche Fußgrößen haben.
Doch während wir Schuhe für jede Fußgröße anbieten, um Leistung erbringen zu können und unsere Gesundheit nicht leiden zu lassen, ist unsere Gesellschaft so ausgerichtet, dass sie alleine den 20% Frühtypen chronobiologisch auch ein Aufstehen ohne Wecker ermöglicht.
Das vielzitierte „da gewöhnt sich der Körper dran!“ ist ein Mythos, wie es viele im Hinblick auf unsere innere Uhr, dem Schlafverhalten bzw. der Chronobiologie im Allgemeinen gibt. Oder etwas anders ausgedrückt: Auch an Lärm, Alkohol, Zigaretten oder zu kleine Schuhe kann man sich irgendwie gewöhnen, aber es erfolgt dadurch keine high-speed-evolutionäre Entwicklung unseres Körpers, die die schädliche Wirkung mal eben eliminiert. Der Körper spult dann lediglich ein Notprogramm ab, das aber nicht auf einen derartigen Dauerbetrieb ausgelegt ist. Vergleichbar mit einem Notstromaggregat, das nicht für den dauerhaften Regelbetrieb vorgesehen ist.
In der Berücksichtigung der Chronotypen bei der zeitlichen Struktur unserer Gesellschaft liegt (neben der gesunden, nachhaltigen Ernährung) eines der größten Potenziale, um auf die Gesundheit und Leistung der Gesellschaft als Ganzes positiven Einfluss nehmen zu können. Denn es betrifft ununterbrochen alle 7,8 Mrd. Menschen über 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche an 365 Tagen im Jahr.
Und das Interessante dabei ist: Man braucht nichts! Kein Device, kein Medikament, keine Nahrungsergänzungsmittel oder irgendein anderes Gerät. Es ist alles da, man muss es nur so nutzen, wie es unser ureigener Bauplan vorsieht! Gerade dies mag für viele ein Problem sein, ist man doch gewohnt, dass erst technische Erfindungen das Tor zu disruptiven Entwicklungen öffnen.
Flexibel in den Tag starten
Die Gesellschaft um den Menschen bauen!
Was wäre, wenn wir in Sachen Schlaf-/Wachrhythmus nun die Gesellschaft um den Menschen bauen und nicht mehr den Menschen um die Gesellschaft (ver-)biegen würden? Vor 20 Jahren, als ich mit meiner Vision bei Unternehmen anklopfte, wurde ich ausgelacht … wie es eben oft bei neuen Ideen so ist. Heute haben wir die Schwelle zu praktischen Einzelerfahrungen schon deutlich überschritten.
Erste Schulen lassen flexible Schulbeginnzeiten zu (Gymnasium Alsdorf) oder Prüfungen erst nach 09.30 Uhr starten (Gymnasium Bad Kissingen). Dort hat man begriffen, dass 80% der Schüler auf Grund genetischer Benachteiligung in Sachen Schulbeginn ihr Potenzial wortwörtlich verschlafen. Übrigens mit allen Auswirkungen auf ihr späteres Berufsleben!
In unseren ersten Projekten haben wir Mitarbeiter ausschlafen lassen (Aufstehen ohne Wecker / Fa. Späh) und Arbeits- und Schichtzeiten nach Chronotypen optimiert (Klinik Wartenberg). Die in folgender Grafik ersichtlichen Ergebnisse zeigen deutlich das oben beschriebene Potenzial:
Die Chronobiologie
als fester Bestandteil des Personalmanagements der Zukunft
COPEP – Chronotypenoptimierte Personaleinsatzplanung wird ein fester Bestandteil des Personalmanagements der Zukunft werden. Einzige Voraussetzung: Der Satz „Es geht nicht, weil …!“ muss einem „Wie bekommen wir es hin, dass..!“ weichen. Und es geht dabei keineswegs ums Perfektionieren, sondern um das Optimieren in Richtung „win-win-win-Situation“ (Unternehmen, Mitarbeiter und Gesellschaft).
Alle meine Projekte zur Chronobiologie haben gezeigt, dass schon kleine Änderungen große Effekte haben. Es ist also keineswegs zwingend nötig, heute gleich das große Rad zu drehen. Schon fünfzehn Minuten mehr Schlaf können sich mittel- bis langfristig positiv auf alle Prozessbeteiligten auswirken und bares Geld einsparen.
Chronobiologie als Gamechanger?
Die Chronobiologie hat das Zeug, völlig losgelöst von jeder technischen Entwicklung, als Gamechanger die erste nichttechnische, disruptive Entwicklung anzustoßen oder gar den 6. Kondratieff einzuleiten.
Denn der kommende Flaschenhals der gesellschaftlichen Entwicklung wird zweifellos der Mensch selbst sein, da er der Geschwindigkeit der eigenen Entwicklungen nicht mehr folgen können wird, wenn die mentalen Ansprüche steigen, die Regenerationsmöglichkeiten (primär Schlaf) jedoch sinken.
Diese Schere lässt sich in meinen Augen nur schließen, wenn wir unsere künstliche Taktung mehr an natürlichen Rhythmen orientieren. Dass es umgekehrt funktioniert ist ein Illusion!
„Weisheit folgt dem Wissen, nicht umgedreht.“
In diesem Sinne wünsche ich Dir viel Erfolg bei der Optimierung Deiner eigenen Chronobiologie!
Michael Wieden
Quellenangaben:
- 1Studie des Think Tanks „Rand Europe Corporation“: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5627640/
- 2LMU München, Prof. Till Roenneberg
Leadership Development
mit der business elf® – Managementberatung
Wenn Chronobiologie ein Thema im Personalmanagement ist oder Du nach einem Partner für Leadership Development suchst, bist Du bei uns genau richtig! Die business elf – Managementberatung vereint langjährige praktischen Führungs- und Managementerfahrungen mit wissenschaftlicher Expertise. Gerne kommen wir mit Dir ins Gespräch, um über konkrete Ansätze zu sprechen! Unsere Experten freuen sich über Deine Kontaktaufnahme unter der Telefonnumer 05401 – 8969981 oder der mail anpfiff@business-elf.de.
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Nachhaltig. Erfolgreich. Führen.
Fotoquelle: Stefan Randholm